Alle Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 30.1.2004
STUTTGART (jon). Im Stuttgarter Rathaus und bei der Messegesellschaft richtet man sich auf eine Modernisierung der 20 Jahre alten Schleyerhalle ein. Mittlerweile glaubt dort kaum noch einer, dass der finnische Investor Harry Harkimo bereit sein wird, am Cannstatter Wasen eine Großhalle für etwa 87 Millionen Euro zu bauen und zu betreiben.
Das Gemeinderat hat bei den Etatberatungen den ursprünglich für die so genannte Boschhalle zwischen Schleyerhalle und Daimlerstadion vorgesehenen Zuschuss von 12,5 Millionen Euro auf 7,5 Millionen Euro reduziert. Der Unternehmer Harkimo, der in Hamburg die Color-Line-Arena privat finanzierte und im ersten Jahr ein Defizit von 4,1 Millionen Euro erwirtschaftete, hat bisher keine Wirtschaftlichkeitsberechnung auf Grundlage des geringeren Zuschusses abgegeben. Der Gemeinderat wollte jedoch gleich zum Jahresbeginn die möglichen Neu- und Umbauvarianten vergleichen. Wann dies geschehen kann, ist unklar. Der Verband der europäischen Veranstaltungszentren hält einen privaten Hallenbetrieb nicht für profitabel. Die Stadt laufe Gefahr, die Lasten tragen zu müssen. Präsident August Moderer befürwortet den Ausbau der Schleyerhalle.
Oberbürgermeister Schuster glaubt an private Lösung - Die meisten im Rathaus rechnen mit Modernisierung der Schleyerhalle
Wird die Boschhalle gebaut, oder saniert die Stadt die Schleyerhalle? Vieles deutet darauf hin, dass es keinen Neubau durch den privaten Investor Harry Harkimo gibt. Fachleute sehen das Projekt ohnehin kritisch.
Von Jörg Nauke
Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) bleibt optimistisch für den Neubau, doch viele Signale sprechen mittlerweile für eine Modernisierung der 20 Jahre alten Schleyerhalle. Erst vor wenigen Tagen beim Baggerbiss für den Neubau der Stadiontribüne schwärmte Schuster von einem großen Multifunktionszentrum, das zur Fußball-WM 2006 fertig würde. Den Glauben, dass der bei einer Ausschreibung siegreiche finnische Investor Harry Harkimo mit seiner JHC Arena Holding das Angebot der Stadt akzeptieren und für etwa 87 Millionen Euro die Boschhalle bauen würde, teilt mit Schuster fast niemand mehr.
Das liegt auch daran, dass Projektsteuerer Christoph Ehrhardt von Ernst & Young, der dieser Tage im Auftrag des Gemeinderats die finanziellen Rahmenbedingungen der Projekte Schleyerhallenausbau und Boschhallenbau vergleichen und gegenüberstellen muss, bisher vergeblich auf eine neue Wirtschaftlichkeitsrechnung Harkimos wartet, die den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Im kommunalen Doppelhaushalt sind bekanntlich nur noch 7,5 Millionen Euro Zuschuss vorgesehen - statt der ursprünglich genannten 12,5 Millionen Euro. Dieses Schweigen wird quer durch die Verwaltung und alle Fraktionen als Zeichen der Resignation gewertet. Wohl noch im Februar soll der Gemeinderat den Projektvergleich vorgelegt bekommen. Von der Stadt war trotz mehrmaliger Anfrage keine Stellungnahme zum Stand der Dinge zu erhalten.
Das Aus für Harkimo wäre nicht nur der SPD im Rathaus recht, weil ein privates Engagement nach Ansicht von Fachleuten in diesem von Überkapazitäten geprägten Markt auch Risiken für die Stadt birgt. Die Color-Line-Arena in Hamburg hat im ersten Jahr 4,5 Millionen Euro Verlust eingefahren, und dies trotz ordentlicher Auslastung sowie zweier Heimteams im Eishockey und Handball. In Stuttgart müssten zwei Hallen gefüllt werden, eine schlagkräftige Mannschaft für den Regelspielbetrieb ist nicht in Sicht. Zudem macht sich bundesweit Ernüchterung breit. Verschiedene Vereine erwägen, sich aus Großhallen zurückzuziehen, weil sie die Mietkosten nicht erwirtschaften können.
Skeptisch äußert sich auch August Moderer, Präsident des Europäischen Verbands der Veranstaltungszentren (EVVC) mit 340 Mitgliedern. Man stehe neuen Projekten positiv gegenüber, sagt Moderer, er betrachte aber die Planungen auf dem Veranstaltungsstättenmarkt kritisch und warne seit Jahren "vor blauäugigen und schöngerechneten Investitionen". Meist mangele es an großen Veranstaltungen, weil es immer weniger Künstler gebe, die die Halle füllen könnten.
Selbst eigene Sportteams, die für eine Grundbelegung sorgten, seien keine Garanten für wirtschaftlichen Betrieb. Letztlich müssten die Kommunen als Retter herhalten, der Steuerzahler werde "als unfreiwilliger Mitaktionär verhaftet". Der EVVC-Präsident sagt, Stuttgart sollte sich gut überlegen, ob sich die Investition in eine Großhalle lohne. Ein privater Investor sei kein Allheilmittel. Es könne auch Sinn machen, "mit eigenem Management und eigener Infrastruktur die gewinnversprechendste Variante umzusetzen". Speziell im Blick auf die Schleyerhalle"ist gut zu überlegen, ob nicht auch eine Modernisierung und Erweiterung ausreicht und vielleicht wirklich die sinnvollste Lösung ist".
Die Kosten würden etwa 21 Millionen Euro betragen, etwa 7,5 Millionen Euro könnten nach Ansicht der SPD durch höhere Zuschauereinnahmen finanziert werden. Nochmal der gleiche Betrag sei im Haushalt eingestellt. So seien noch 8,5 Millionen Euro zu finanzieren. Leidtragende wären die Bahnradsportler, die ihrer Trainingsstätte beraubt würden. Dabei ist ihnen die Nutzung vertraglich zugesichert. Die Sportgarantie ist in einem Vertrag zwischen der Stadt und der Messegesellschaft vom 27. Juni 1980 fixiert. Darin heißt es, die Schleyerhalle sei als Sporthalle geplant und gebaut und solle"in erster Linie mit Sportveranstaltungen belegt werden". Würden sich Termine sportlicher und nicht sportlicher Veranstaltungen überschneiden,"so haben sportliche Veranstaltungen Vorrang". Für den Radsport seien Trainingsmöglichkeiten und Veranstaltungstermine im bisherigen Umfang zu gewährleisten. Der Sportkreisvorsitzende Werner Schüle plädiert als Ausgleich für eine eigene Bahnradtrainingshalle samt Leichtathletikbahn zwischen Schleyerhalle und Stadion.
Es ist unbestritten: Die Landeshauptstadt braucht dringend eine moderne Veranstaltungshalle. Man muss ja nur über die Landesgrenze schauen - in Mannheim und Karlsruhe wächst kräftige Konkurrenz heran. Es muss sich also etwas tun, denn die Schleyerhalle genügt den Anforderungen längst nicht mehr. Umso erstaunlicher ist es, dass die Messegesellschaft immer noch eine vergleichsweise gute Auslastung erreicht.
Es hatte ja zuletzt den Anschein, als könnte der Gemeinderat zwischen zwei Lösungen wählen: Lässt man den privaten Investor Harry Harkimo ran? Er wollte mit großzügiger Unterstützung der Stadt die Boschhalle errichten und später samt der kostenlos überlassenen Schleyerhalle betreiben. Oder macht man es wie die Münchner und modernisiert die alte Halle? So wie es aussieht, bleibt nur die zweite Variante.
Das haben die Stadträte nun davon. Sie unterstützten die Forderung des damaligen CDU-Fraktionschefs und heutigen Kämmerers Michael Föll, die für den Großhallenneubau reservierten 12,5 Millionen Euro zur Haushaltskonsolidierung einzusetzen - und haben für Harkimo gerade noch 7,5 Millionen Euro reserviert. Kein Wunder, dass es dem Finnen die Sprache verschlagen hat. Im Rathaus geht man - mit Ausnahme von OB Wolfgang Schuster, der nach dem Trumpturm nicht schon wieder ein Bauprojekt abschreiben will - längst davon aus, dass Harkimo darauf nicht eingehen wird. Dafür spricht, dass er die für einen Vergleich geforderte Wirtschaftlichkeitsberechnung auf Basis der neuen Zuschusshöhe nicht abliefert.
Harkimo hat eigentlich gar keine andere Wahl als abzusagen. Er ist kein Hasardeur, außerdem hat er sich bei seinem Hamburger Projekt so die Finger verbrannt, dass er diese Erfahrung gewiss nicht nochmal machen möchte. Damals wollte er ohne große Hilfe der Hansestadt die Color-Line-Arena bauen. Jetzt fehlen ihm diese Millionen in der Kalkulation. Dass die Investitionskosten nicht erwirtschaftet werden können, sagen Fachleute schon seit Jahren. Das zeigen Beispiele von Köln über Hannover bis Oberhausen. Das Risiko wäre in Stuttgart noch größer, weil es keine Basis für einen erfolgreichen Spielbetrieb gibt und die Logen nicht zu vermarkten wären. In Anbetracht der soliden Alternative wäre das Ende der Boschhalle kein Drama.
Von Jörg Nauke
Die gute Nachricht vorneweg: egal, für welche Variante sich der Gemeinderat letztlich entscheiden wird, der Veranstaltungsort Stuttgart profitiert auf jeden Fall, da er 2006 wieder über eine moderne Halle mit für Großveranstaltungen ausreichender Kapazität von etwa 16 000 Sitz- und Stehplätzen verfügt. Die Schleyerhalle ist heute hinsichtlich der Funktionalität, beschränkter Zuschauerkapazität und hoher Umbaukosten zwischen den Veranstaltungen im schärfer werdenden Wettbewerb benachteiligt. Vor allem die neue Halle in Mannheim ist als Konkurrenz ernst zu nehmen.
Die Boschhalle würde privat gebaut und betrieben. Investor wäre das Unternehmen des Finnen Harry Harkimo, der derartige Multifunktionszentren bereits in Helsinki und in Hamburg realisiert hat. Die Boschhalle würde etwa 87 Millionen Euro kosten. Ursprünglich sollte die Stadt für Erschließung und Altlastenbeseitigung (vier Millionen Euro) aufkommen und einen Investitionsbeitrag von 12,5 Millionen Euro leisten. Mittlerweile wurde dieser Betrag auf 7,5 Millionen Euro reduziert. Harkimos Modell fußt auf Einnahmen durch Verkauf der Namens- und Vermarktungsrechte und die Vermietung von Logen sowie Businesssitzen.
Die Modernisierung der Schleyerhalle würde ein neues Kopfgebäude mit Gastronomie und Foyer, Erweiterung der Nebenhallen, eventuell Überbauung der Radrennbahn, Bau eines zweiten Rangs in den Kurven und neue Videowände umfassen. Die Kosten betragen etwa 21 Millionen Euro. Die Zahl der Sitzplätze würde von 4690 auf 9960 erhöht. jon