Artikel aus der
Stuttgarter Zeitung
vom 10.07.2003
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Noch ein Millionengrab oder macht Harkimo auch
Stuttgart froh?
Fachleute sprechen von "ruinösem Wettbewerb bei
Veranstaltungshallen" - Oberbürgermeister für
Neubau: "Mit der Schleyerhalle sind wir nicht mehr
konkurrenzfähig"
"Harkimo macht Hamburg froh", jubelt die Boulevardpresse
seit Eröffnung der Color Line Arena. Dass der finnische
Großhallenbauer auch Stuttgart verzücken wird,
ist dagegen noch höchst unsicher.
Von Jörg Nauke
Die Konzertveranstalter haben derzeit alle Hände voll
zu tun. Wegen der Raubkopien aus dem Internet brechen den
Stars der Musikszene die Einnahmen aus dem CD-Verkauf weg,
daher müssen sie ihre Konten mit den Einnahmen aus
Liveauftritten ausgleichen. An geeigneten "Locations"
mangelt es nicht. Das hat für die Vermieter böse
Folgen.
Viele neue Arenen würden kaum die Hälfte ihrer
veranschlagten Mittel bekommen, wird der Unternehmensberater
Björn Bloching in der FAZ zitiert. Branchenexperte
Günter Vornholz von der NordLB spricht gar von einem
"ruinösen Wettbewerb". Als Beispiele wird die Arena auf
Schalke genannt, wo die Zinsbelastung für die
Mehrkosten der Multifunktionsarena gegenüber einem
reinen Fußballstadion nicht erwirtschaftet werden
könne. Und über den Düsseldorfer Neubau
heißt es schon: "Das wird ein Grabmal." Für
Vornholz steht längst fest: "Nach dem Bauboom bei
Rathäusern und Hallenbädern ist nun die
Veranstaltungshalle das Statussymbol von
Kommunalpolitikern."
"Sollen wir wegen der vorhandenen Konkurrenz unser
Veranstaltungsgeschäft aufgeben?" fragt OB Wolfgang
Schuster - und liefert die Antwort gleich mit: nein. "Denn
Daimler-Chrysler hört auch nicht auf, Autos zu bauen,
nur weil es auch andere gute Marken gibt." Für ihn
steht fest, dass Stuttgart in wenigen Jahren mit der
Schleyerhalle keine Chance mehr am Markt haben werde. Die
auch von Messechef Klaus-Dieter Heldmann und
Konzertveranstalter Michael Russ erwähnte mangelnde
Konkurrenzfähigkeit ist für den Laien freilich
nicht auf den ersten Blick ersichtlich. So findet sich im
aktuellen Terminkalender der Color Line Arena kein
Künstler, der nicht auch in Stuttgart auftritt.
Für OB Schuster wäre die Boschhalle eine
"hochmoderne und wettbewerbsfähige
Veranstaltungsstätte". Er würde sie am liebsten
von Harry Harkimo bauen und betreiben lassen, denn der Finne
habe als Einziger ein "überzeugendes Betreiberkonzept".
Ganz nebenbei ist Harkimo auch derjenige von vier Bewerbern,
der sich der Stadt gegenüber am bescheidensten gegeben
hat.
Heute will der OB genaue Zahlen auf den Tisch legen. Denn
Wohl und Wehe des Projekts hängen von der Finanzierung
ab. Anders als der VfB Stuttgart beim Fußballstadion
bringe Harkimo eigenes Geld mit, macht Schuster den
Unterschied deutlich. Dass der Investor 12,5 Millionen Euro
Zuschuss von der Stadt wünscht, lässt sich leicht
erklären. Dieser Betrag stand nach einer
Kapitalherabsetzung bei der Messegesellschaft
vorübergehend zur Verfügung. Mittlerweile ist das
Geld zurück in die Stadtkasse geflossen. Harkimo muss
sich deshalb auf harte Verhandlungen einstellen. Weitere
finanzielle Details sind zu klären. So will er die
Halle, die 83 Millionen Euro kosten soll, nach 30 Jahren
für 22 Millionen Euro zurückgeben. Der OB bleibt
gelassen: Alle Details berücksichtigt, koste die Stadt
die Halle lediglich etwa vier Millionen Euro.
In Hamburg wird Harkimo gefeiert. "Die Color Line Arena
boomt", jubelt die Boulevardpresse. Die Eishockeytruppe
Freezers spielt vor ausverkauftem Haus, und die Handballer
des HSV zahlen ebenfalls kräftig Miete, um in dieser
Riesenkneipe mit integrierter Spielfläche
Bundesligaspiele zu bestreiten. Daneben treten dort
natürlich Stars wie Santana, Elton John oder Mariah
Carey auf.
Abgesehen davon, dass es in Stuttgart bisher weder ein
konkurrenzfähiges Eishockeyteam noch einen
Handballverein gibt, die für eine solide Auslastung der
Großhalle sorgen könnten, ist der Verkauf der
Tickets nur ein Teil des Ganzen. Zu den Haupteinnahmequellen
gehört neben der Gastronomie und der Vermarktung der
Namens- und Werberechte die Vermietung von fast 100 Logen
zum Preis von einer halben Million Euro und mehr für
die Dauer von zehn Jahren. Wie viele Suiten zu welchen
Konditionen in Hamburg vermietet wurden, behält Harkimo
für sich. Sage es denn nicht alles, dass er seine
eigene Luxusloge mit Sauna hergegeben habe, weil sie ein
Kunde unbedingt haben wollte? lautet seine Gegenfrage.
Wer trägt das Risiko, wenn der Betreiber Pleite gehen
sollte? hat man sich jüngst in der Stadiondebatte
gefragt. Der Rückfall an den Besitzer droht auch bei
der Großhalle. Anders als beim VfB sehe man bei
Harkimo aber kein Problem, meint die Rathausspitze. Der
Finne genieße Vertrauen, die Boschhalle wäre
schließlich nicht sein erstes derartiges Projekt. Und
sollte ihm nach Fertigstellung dennoch die Luft ausgehen,
würde eben die Messe oder eine
Veranstaltungsgesellschaft den Betrieb übernehmen. In
Hamburg konnte die norwegische Agentur für Fernseh- und
Internetrechte ASA mit einem Jahresumsatz von nur 98
Millionen Euro für stattliche 15 Millionen Euro
für noch nicht erzielte Erlöse aus Namens- und
Verkaufsrechten sowie aus dem Logenverkauf bürgen - das
ist dem Stuttgarter Gemeinderat natürlich nicht
verborgen geblieben. SPD-Fraktionschef Manfred Kanzleiter
beispielsweise ist gegen den Bau. Anders als der OB
könnte er sich gut vorstellen, noch einige Jahre mit
der Schleyerhalle zu leben. Sie müsste aber
modernisiert werden. "Was kann man mit 25 bis 30 Millionen
Euro erreichen?" fragt er die Stadt.
Hallenchef Manfred Parlow sagt, der Bau sei in einem guten
Zustand. Demnächst müssten die Videowände
erneuert werden (zwei Millionen Euro), neue
Innenraumtribünen, die einen schnelleren Auf- und Abbau
ermöglichten, würden mit 1,8 Millionen Euro zu
Buche schlagen. Daneben stünden Ausbauten und
Sanierungen in Höhe von bis zu drei Millionen Euro auf
der Agenda - damit könne man aber noch warten. Und was
passiert mit der gut ausgelasteten Schleyerhalle, wenn die
Boschhalle gebaut würde? Harkimo hat deutlich gemacht,
dass sie für ihn nicht mehr als eine bessere Lagerhalle
sein werde. Ein Parallelbetrieb - Reiten in der
Schleyerhalle, Konzert in der Boschhalle - erscheint deshalb
unwahrscheinlich. Der OB baut schon vor: "Geld für die
Instandhaltung gibt es für Harkimo natürlich nur
auf Nachweis."
10.07.2003 - aktualisiert: 10.07.2003, 05:36 Uhr
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